Die Filmstarts-Kritik zu Sound Of Freedom (2024)

Kritik der FILMSTARTS-Redaktion

3,0

solide

Sound Of Freedom

Der umstrittenste Film des Jahres kommt auch in die deutschen Kinos!

Von Michael Meyns

Erst hat sich jahrelang niemand für den im Giftschrank zwischengeparkten Film interessiert – und dann avanciert er plötzlich zu einem Symbol der christlichen Rechten und damit zu einem weiteren Spielball im sich immer weiter hochschaukelnden Kulturkampf in den USA. Das Ergebnis: Das nur 14 Millionen Dollar teure Thriller-Drama „Sound Of Freedom“, basierend auf der Lebensgeschichte des ehemaligen Agenten und heutigen Anti-Missbrauchs-Aktivisten Tim Ballard, spielte in den USA mehr Geld ein als der 300-Millionen-Dollar-Megablockbuster „Indiana Jones und das Rad des Schicksals“.

Zugleich verlor Regisseur Alejandro Monteverde, der einfach nur auf das wichtige Thema Kindesmissbrauch aufmerksam machen wollte, aber ein Stück weit die Deutungshoheit über seinen eigenen Film – auch weil sein Hauptdarsteller Jim Caviezel in Werbe-Videos mit wirren QAnon-Verschwörungstheorien auf sich aufmerksam machte und so von der eigentlichen Kindesmissbrauchs-Thematik ablenkte. Natürlich sollte man einen Film für sich bewerten – aber ganz ausblenden kann man das Drumherum bei der Rezeption eben auch nicht, gerade wenn es wie in diesem Fall noch interessanter ist als der grundsolide, aber auch nicht wahnsinnig besondere Filme selbst.

Die Filmstarts-Kritik zu Sound Of Freedom (1)

Tim Ballard (links: Jim Caviezel) will nicht länger nur online gegen Pädophile vorgehen – sondern selbst die missbrauchten Kinder aus ihrer Gefangenschaft herausholen.

Irgendwo in Honduras: Ein junges Mädchen wird für ein Vorsprechen der Talentshow „Discover Your Dream“ eingeladen. Aber als der alleinerziehende Vater sie und ihren Bruder am Abend abholen will, sind die Kinder verschwunden. Zeitgleich macht der ehemalige Elitesoldat Tim Ballard (Jim Caviezel) für einen amerikanischen Geheimdienst im Internet Jagd auf Personen, die online Kinderpornos verbreiten oder ansehen. Ein harter, vor allem psychisch belastender Job, doch Ballard will mehr:

Er hat es auf die Hintermänner abgesehen – und vor allem will er die Kinder befreien. Also gründet er eine Organisation namens O.U.R. (Operation Underground Railway), um in Südamerika auf eigene Faust Ermittlungen anzustellen (und ggf. einzugreifen). In einer abgelegenen Region Kolumbiens soll sich das Versteck von Menschenhändlern befinden, ganz am Ende eines langen Flusses: Nur mit seinem unerschütterlichen Glauben bewaffnet, beginnt für Ballard eine Reise ins Herz der Finsternis…

Filmisch angenehm zurückhaltend

Das schreckliche Thema Kindesmissbrauch ist real, das Problem akut. Grundsätzlich gebührt dem mexikanischen Regisseur und Drehbuchautor Alejandro Monteverde also Respekt, dass er mit „Sound Of Freedom“ auf ein wichtiges Anliegen aufmerksam macht. Zumal er einen angesichts der Thematik überraschend zurückhaltenden filmischen Ansatz wählt, reißerische Momente vermeidet, sich ganz auf die natürliche Dramatik der Geschichte verlässt. Angesichts des Spezialagent-Hintergrunds des Protagonisten hätte man da auch anderes erwarten können, bis hin zu einer actionlastigen Befreiungsaktion der minderjährigen Gefangenen.

Dass die realen Ereignisse um Ballard und seine Organisation an die Bedürfnisse eines zweistündigen Kinofilms angepasst, Figuren dramatisiert sowie Ereignisse geglättet und gestrafft wurden, kann man einem Biopic nur bedingt vorwerfen: Von „Gandhi“ bis „Oppenheimer“ hält sich schließlich keine Leinwandbiographie hundertprozentig an die Wahrheit. Ein wenig Verklärung ist fast immer dabei und die eigentliche Frage lautet deshalb auch, ab wann eine ungute Grenze erreicht oder gar überschritten wird. „Sound Of Freedom“ scheint dieser Grenze in Bezug auf Tim Ballard jedenfalls mindestens sehr nahe zu kommen – selbst wenn von außen schwer einzuschätzen ist, ab wann die Filmschaffenden hätten wissen können, dass Ballard seine Aktionen offenbar geschönt geschildert und (vornehmlich) zur eigenen Profilierung benutzt hat. 2020 jedenfalls streute die Internetseite Vice mit langen, genau recherchierten Texten erhebliche Zweifel an Ballard, der O.U.R und ihrer Methoden.

Die Filmstarts-Kritik zu Sound Of Freedom (2)

Für die verschleppten Kinder gibt es in der Regel eigentlich kaum eine Chance, da noch mal wieder rauszukommen…

An dieser Stelle muss auf die komplizierte Historie von „Sound Of Freedom“ eingegangen werden: Alejandro Monteverde und sein Co-AutorRod Barr begannen im Auftrag von 20th Century Fox bereits 2016 mit der Arbeit am Drehbuch – im Sommer 2018 wurde gedreht, 2019 war der Film fertig. Allerdings geriet er damit mitten hinein in die Übernahme von Fox durch Disney – beim Mäusestudio passte „Sound Of Freedom“ nicht in die Verleihstrategie und es dauerte einige Jahre, bis die Produzenten den Film schließlich zurückkaufen konnten. Allerdings fand sich kein „normaler“ Verleih, der den Film ins Kino bringen wollte.

So kam man schließlich auf das erst 2021 gegründete Unternehmen Angel Studios, das sogenannte Faith Based Films mit einem vornehmlich konservativ-christlichen Zielpublikum verleiht. Als „Sound Of Freedom“ dann ausgerechnet am 4. Juli 2023, also dem amerikanischen Nationalfeiertag, in die Kinos kam, entwickelte sich der Film im Wahnsinnstempo zum Überraschungs-Megaerfolg, der allein in den USA 184 Millionen Dollar einspielte und damit mehr als „Indiana Jones 5“ mit Harrison Ford oder „Mission Impossible 7“ mit Tom Cruise.

Zwischen den Mühlen von QAnon und Mainstreammedien zermahlen

Das „Sound Of Freedom“ nun von einem Verleih für das Nischenprodukt religiöse Filme ins Kino gebracht wurde, sorgte unter anderem dafür, dass der Film in der klassischen Presse zunächst ignoriert wurde: Weder die großen Zeitungen New York Times oder Washington Post noch die Branchenblätter Variety oder Hollywood Reporter veröffentlichten direkt zum Filmstart Kritiken. Ein gefundenes Fressen im seit Jahren eskalierenden Kulturkampf Amerikas: Wieder einmal würden die „wirklichen Probleme“ des Landes von den „Mainstreammedien“ ignoriert – und offenbar wolle jemand, dass das Thema Kindesmissbrauch weiter totgeschwiegen wird.

Hier sei besonders an die bizarre „Pizzagate“-Affäre erinnert, bei der während des Wahlkampfes 2016 behauptet wurde, dass in einer Pizzeria in Washington D.C. entführte Kindern missbraucht werden, um dann aus ihrem Angstschweiß die angeblich verjüngende Chemikalie Adrenochrome zu destillieren. Eine vollkommen bizarre Verschwörungstheorie, zu deren Anhängern – und hier führt der Bogen zurück zu „Sound Of Freedom“ – allerdings auch Hauptdarsteller Jim Caviezel zählt. Dieser hatte sich nicht erst während Corona als QAnon-Anhänger geoutet und nun erfolgreich versucht, den schon vor Jahren gedrehten „Sound Of Freedom“ plötzlich als Fanal gegen die Unterdrückung durch das Establishment zu positionieren.

Die Filmstarts-Kritik zu Sound Of Freedom (3)

Jim Caviezel ist fraglos ein guter Schauspieler – aber bei der Promo-Tour zu „Sound Of Silence“ macht er leider vor allem mit QAnon-Schmarrn auf sich aufmerksam.

Bedauerlich ist das vor allem für Regisseur Alejandro Monteverde, der mit „Sound Of Freedom“ nicht nur den mit Abstand größten Erfolg seiner Karriere gedreht hat, sondern auch ein mit vertretbarer künstlerischer Freiheit gedrehtes Biopic, das auf eindringliche Weise den Kampf gegen Kindesmissbrauch und Menschenhandel thematisiert. Dass sein Film in Amerika nun zum Spielball des polarisierten Kulturkampfes geworden ist, hat Monteverde zwar nicht zu verantworten, ist nun aber trotzdem der bestimmende, kaum zu ignorierende Hauptteil der Rezeption des Films. Und es ist noch nicht Schluss – erst vor wenigen Wochen kam noch eine weitere, bitter-ironische Note hinzu: Tim Ballard trat als Vorsitzender seiner eigenen Organisation O.U.R. zurück, und zwar ausgerechnet wegen Vorwürfen sexueller Übergriffe gegenüber seinen Mitarbeiterinnen. Die Realität ist einmal mehr viel komplexer, als es fast jeder ausgedachte Film sein könnte…

Fazit: Ein eindringliches Drama über Kindesmissbrauch und Menschenhandel, das aber nur halb so aufregend ist, wie all die absurden Auswüchse des amerikanischen Kulturkampfes, die rund um den US-Kinostart von „Sound Of Freedom“ zu beobachten waren.

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